Der Kranunfall in Wiesbaden: Verantwortung und Haftung im Spiegel des BGH-Urteils
Am 15. Oktober 2021 stürzte auf einer Baustelle in Wiesbaden ein Baukran um und verursachte erhebliche Schäden an einem angrenzenden Wohnhaus. Der Fall war juristisch komplex und brachte verschiedene Haftungsfragen auf den Tisch. Neben der Klärung der Verantwortlichkeiten spielte ein wegweisendes Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 9. Februar 2018 (Az. V ZR 311/16) eine wichtige Rolle in der Entscheidungsfindung. Nachfolgend beleuchten wir, wie dieses Urteil den Fall prägte, wie die Beklagten sich verteidigten und welche rechtlichen Konsequenzen sich daraus ergaben.
Der Fall: Ausgangssituation und Schaden
Auf der Baustelle wurden zwei Mehrfamilienhäuser errichtet. Der Baukran, der für die Arbeiten eingesetzt wurde, stürzte während der Verlagerung eines Fertigteil-Treppenlaufs um. Dabei beschädigte der Kran das Dach eines benachbarten Wohnhauses massiv. Die Eigentümerin des Hauses machte Schadenersatz geltend. Das Gericht musste klären, ob das Bauunternehmen (Beklagte zu 1) und die Bauherrin (Beklagte zu 2) für den Vorfall hafteten und in welchem Umfang sie zur Verantwortung gezogen werden konnten.
Ein zentrales Argument der Klägerin beruhte auf der Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, wie es bereits im genannten BGH-Urteil von 2018 ausgelegt wurde. Das Gericht entschied, dass diese Vorschrift, die normalerweise auf nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche zielt, auch in diesem Fall Anwendung fand, da die Bauarbeiten auf dem Grundstück der Beklagten zu 2 eine Gefahrenquelle darstellten, die letztlich zum Schaden führte.
Verteidigung der Beklagten und Bezug zum BGH-Urteil
Die Beklagten wiesen die Verantwortung von sich und griffen unterschiedliche Argumentationslinien auf:
Verteidigung der Beklagten zu 1 (Bauunternehmen):
Das Bauunternehmen bestritt eine Pflichtverletzung und argumentierte, dass die Ursache des Kranunfalls nicht zweifelsfrei feststellbar sei. Es bestritt, dass Sicherheitsabstände oder andere Vorgaben missachtet worden seien, und verwies darauf, dass die Lastmomentbegrenzung möglicherweise bereits vor der Inbetriebnahme des Krans defekt gewesen sein könnte. Weiterhin versuchte es, die Verantwortung auf die Bauherrin und die Kranbaufirma abzuwälzen, indem es betonte, dass der Kran von einer Drittfirma geliefert und aufgebaut wurde.
Verteidigung der Beklagten zu 2 (Bauherrin):
Die Bauherrin argumentierte, dass sie als Laie keine Haftung für technische Fehler oder sicherheitsrelevante Aspekte des Kraneinsatzes trage. Sie verwies darauf, dass sie Fachfirmen für den Aufbau und Betrieb des Krans beauftragt habe. In ihrer Verteidigung berief sie sich auf das Übermaßverbot und eine frühere Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg, die eine verschuldensunabhängige Haftung in solchen Fällen einschränken wollte.
Hier griff das Gericht jedoch auf das BGH-Urteil von 2018 zurück, das deutlich machte, dass der Bauherr als mittelbarer Handlungsstörer haftet, wenn die von ihm veranlassten Bauarbeiten eine Beeinträchtigung des Nachbarn verursachen. Selbst wenn der Bauherr keine direkte Schuld an der Fehlkonstruktion oder der fehlerhaften Bedienung des Krans trägt, bleibt er für die durch die Bauarbeiten entstandenen Schäden verantwortlich. Diese Einschätzung schloss eine Haftungsabwälzung auf Dritte weitgehend aus.
Gerichtsurteil: Klare Verantwortlichkeiten basierend auf dem BGH-Urteil
Das Gericht entschied zugunsten der Klägerin und stützte sich dabei wesentlich auf die Grundsätze des BGH-Urteils.
Haftung des Bauunternehmens (Beklagte zu 1):
Das Gericht sah eine klare Verletzung der Verkehrssicherungspflichten durch das Bauunternehmen. Nach § 823 BGB haftet die Beklagte zu 1 für den Schaden, da die unsachgemäße Aufstellung und der Betrieb des Krans direkt in ihren Verantwortungsbereich fielen. Besonders relevant war hier, dass der Kranführer und die Bauleitung die Gefahren hätten erkennen und verhindern müssen. Das Gericht betonte, dass die Bauleitung für die Sicherheit der gesamten Baustelle verantwortlich war und somit auch für Mängel, die von beauftragten Drittfirmen ausgingen.
Verschuldensunabhängige Haftung der Bauherrin (Beklagte zu 2):
Die Bauherrin wurde entsprechend § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB haftbar gemacht. Das Gericht folgte der Auslegung des BGH, dass der Bauherr als mittelbarer Handlungsstörer für Beeinträchtigungen haftet, die von seinem Grundstück ausgehen. Selbst wenn die Bauherrin keine eigene Schuld an der fehlerhaften Aufstellung oder Bedienung des Krans traf, wurde sie zur Verantwortung gezogen. Maßgeblich war, dass die Bauarbeiten von ihr veranlasst wurden und sie letztlich von den durchgeführten Arbeiten profitieren wollte. Diese wirtschaftliche Verknüpfung rechtfertigte nach Auffassung des Gerichts die verschuldensunabhängige Haftung.
Vergleich mit dem BGH-Urteil von 2018
Das Gericht orientierte sich eng am BGH-Urteil, das den Grundsatz etablierte, dass ein Bauherr auch dann haftet, wenn der Schaden durch Fehler von Fachunternehmen verursacht wird. In beiden Fällen war entscheidend, dass der Bauherr die Bauarbeiten veranlasst hatte und somit der Gefahrenquelle zuzurechnen war. Der BGH hatte klargestellt, dass die Auswahl sachkundiger Fachfirmen den Bauherrn nicht von seiner Haftung entbindet.
Im vorliegenden Fall bekräftigte das Gericht diese Rechtsprechung und lehnte die Argumentation der Beklagten zu 2 ab, die sich auf eine nicht einschlägige Entscheidung des OLG Naumburg berufen hatte. Die Kammer unterstrich, dass es nicht darauf ankommt, ob der Bauherr selbst Sachkenntnis besitzt. Entscheidend ist, dass er durch die Beauftragung der Arbeiten die Ursache für die Beeinträchtigung des Nachbarn setzt.
Auswirkungen auf Bauherrn und Bauunternehmen
Das Urteil zeigt exemplarisch, wie stark die Rechtsprechung des BGH die Haftungsverteilung im Bauwesen prägt. Für Bauherren bedeutet dies, dass sie selbst bei sorgfältiger Auswahl von Fachfirmen nicht von ihrer Verantwortung befreit sind. Bauunternehmen hingegen müssen ihre Verkehrssicherungspflichten ernst nehmen und alle Sicherheitsvorschriften konsequent einhalten, um Haftungsrisiken zu minimieren.
Das Gericht setzte die Linie des BGH konsequent um: Die Klägerin erhielt umfassenden Schadensersatz, auch wenn letztlich nur die Reparatur des beschädigten Daches erstattet wurde. Dies unterstreicht, dass Bauherren und Bauunternehmen in einem engen rechtlichen Rahmen agieren und die Sicherheit auf Baustellen höchste Priorität haben muss.
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FAQ: Kranunfall und Haftung – Wichtige Fragen und Antworten
1. Wer trägt die Verantwortung für die Sicherheitsüberprüfung eines Baukrans vor Inbetriebnahme?
Die Sicherheitsüberprüfung eines Baukrans liegt in der Verantwortung der Bauleitung und des Kranführers. Auch wenn der Kran von einer externen Firma geliefert oder aufgebaut wird, müssen Bauleitung und Bauunternehmen sicherstellen, dass der Kran den geltenden Sicherheitsvorschriften entspricht und ordnungsgemäß betrieben wird. Diese Pflicht besteht unabhängig davon, ob der Kran von einem Dritten bereitgestellt wurde.
2. Können Bauherren die Haftung durch vertragliche Vereinbarungen mit Fachfirmen ausschließen?
Nein, Bauherren können ihre verschuldensunabhängige Haftung gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht durch vertragliche Vereinbarungen mit Fachfirmen ausschließen. Selbst wenn alle Arbeiten von sachkundigen Drittfirmen ausgeführt werden, bleibt der Bauherr für Beeinträchtigungen, die von seinem Grundstück ausgehen, haftbar. Die Auswahl externer Fachfirmen schützt den Bauherrn nur begrenzt vor einer Verantwortung.
3. Welche Rolle spielen Versicherungen bei solchen Schadensfällen?
Versicherungen, wie die Bauherren-Haftpflichtversicherung oder die Betriebshaftpflichtversicherung des Bauunternehmens, spielen eine zentrale Rolle bei der Regulierung solcher Schäden. Sie decken in der Regel die finanziellen Folgen der Haftung, wenn die jeweiligen Versicherungsbedingungen erfüllt sind. Allerdings prüfen Versicherer die Schadensursache und Verantwortlichkeiten sorgfältig, was zu langwierigen Verhandlungen führen kann.
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