
Minderung und Kostenvorschussanspruch – Zwei parallele Wege?
Das Werkvertragsrecht gewährt dem Besteller verschiedene Mängelrechte, wenn die erbrachte Leistung nicht vertragsgemäß ist. Zwei der zentralen Rechte sind die Minderung der Vergütung nach § 634 Nr. 3, § 638 BGB und der Kostenvorschussanspruch nach § 634 Nr. 2, § 637 Abs. 3 BGB.
Die Minderung ermöglicht es dem Besteller, den Werklohn entsprechend der verbleibenden Wertminderung des mangelhaften Werkes zu reduzieren. Im Gegensatz dazu dient der Kostenvorschussanspruch dazu, finanzielle Mittel für die Selbstvornahme der Mängelbeseitigung zu erhalten.
Die zentrale Frage, die sich hier stellt, ist, ob diese Rechte alternativ oder kumulativ ausgeübt werden können. Kann ein Besteller, der zunächst die Minderung erklärt hat, später dennoch einen Vorschuss für die Mängelbeseitigung verlangen? Diese Fragestellung war Gegenstand einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH).
Rechtlicher Hintergrund: Wahlrecht des Bestellers im Werkvertragsrecht
Das deutsche Werkvertragsrecht räumt dem Besteller ein Wahlrecht zwischen verschiedenen Mängelrechten ein. Die wichtigsten Ansprüche nach § 634 BGB sind:
- Nachbesserung (§ 634 Nr. 1 BGB): Der Unternehmer hat die Gelegenheit, den Mangel zu beseitigen.
- Selbstvornahme mit Kostenvorschuss (§ 634 Nr. 2, § 637 BGB): Der Besteller kann den Mangel selbst beseitigen und die Kosten vom Unternehmer verlangen.
- Minderung (§ 634 Nr. 3, § 638 BGB): Die Vergütung wird um den Betrag des Minderwertes reduziert.
- Schadensersatz oder Rücktritt (§ 634 Nr. 4 BGB): Bei erheblichen Mängeln kann Schadensersatz verlangt oder der Vertrag rückabgewickelt werden.
Bisher war unklar, ob der Kostenvorschussanspruch noch geltend gemacht werden kann, nachdem die Minderung erklärt wurde. Nach dem Gesetz gibt es keine ausdrückliche Regelung, die eine solche Kombination ausschließt. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass die Wahl der Minderung ein Nachbesserungsverlangen ausschließt.
Der Fall vor dem BGH: Wechsel von der Minderung zum Kostenvorschuss?
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte sich in seinem Urteil vom 22. August 2024 (VII ZR 68/22) mit einem Fall zu befassen, in dem ein Bauherr zunächst die Minderung erklärt und später den Kostenvorschuss für die Mängelbeseitigung gefordert hatte.
Im konkreten Fall hatte ein Bauherr einen Unternehmer mit der Errichtung eines Einfamilienhauses beauftragt. Nach der Abnahme stellte sich heraus, dass erhebliche Mängel im Schallschutz vorlagen. Der Bauherr erklärte zunächst die Minderung der Vergütung. Da sich später herausstellte, dass die Mängel die Wohnqualität erheblich beeinträchtigten, verlangte der Bauherr einen Kostenvorschuss zur Mängelbeseitigung. Der Unternehmer wehrte sich mit der Begründung, dass die Minderung eine abschließende Wahl sei und ein Wechsel zum Kostenvorschuss nicht mehr möglich sei.
Das Landgericht und das Oberlandesgericht gaben dem Bauherrn teilweise Recht und stellten fest, dass ein Wechsel unter bestimmten Voraussetzungen möglich sein könne. Die abschließende Klärung erfolgte durch den BGH.
Entscheidung des BGH: Warum schließt die Minderung den Kostenvorschuss nicht aus?
Der BGH entschied, dass die Erklärung der Minderung den Kostenvorschussanspruch nicht ausschließt. Dabei stellte das Gericht fest:
- Eine gesetzliche Regelung, die die Kombination dieser Rechte verbietet, existiert nicht.
- Die Minderung führt nicht zwangsläufig dazu, dass der Mangel dauerhaft akzeptiert werden muss.
- In besonderen Fällen kann es für den Besteller sinnvoll sein, zusätzlich zur Minderung eine Mängelbeseitigung vorzunehmen.
- Eine grundsätzliche Sperrwirkung würde die Rechte des Bestellers unzulässig einschränken und nicht dem Zweck des Mängelrechts entsprechen.
Besonders relevant ist die Abgrenzung zu anderen Mängelrechten. Während der Rücktritt und der große Schadensersatz nach Wahl der Minderung ausgeschlossen sind, besteht eine solche Begrenzung nicht für den Kostenvorschuss.
Handlungsempfehlungen für Bauherren und Auftragnehmer
Die Entscheidung des BGH hat weitreichende Auswirkungen auf Bauherren und Unternehmer.
Für Bauherren:
- Eine frühzeitige Dokumentation von Mängeln ist essenziell, um verschiedene Mängelrechte in Anspruch nehmen zu können.
- Es ist ratsam, sich bereits vor der Erklärung der Minderung über die möglichen Alternativen zu informieren.
- Die Kombination aus Minderung und Kostenvorschuss kann in bestimmten Fällen vorteilhaft sein.
Für Bauunternehmen:
- Unternehmer sollten sich bewusst sein, dass eine Minderung nicht zwingend das Ende der Mängelbeseitigungspflichten bedeutet.
- Es empfiehlt sich, Mängel zeitnah und fachgerecht zu beseitigen, um weitergehende Forderungen zu vermeiden.
- Klare vertragliche Regelungen zu Mängelansprüchen können helfen, Rechtsstreitigkeiten vorzubeugen.
Die Entscheidung des BGH stellt klar, dass die Rechte des Bestellers flexibel gestaltet sind und die Wahl eines Mängelrechts nicht automatisch zum Ausschluss anderer Rechte führt. Dies gibt Bauherren mehr Spielraum, um ihre berechtigten Interessen durchzusetzen und eine zufriedenstellende Mängelbeseitigung zu erreichen.
FAQ – Minderung und Kostenvorschussanspruch
1. Kann der Besteller direkt den Kostenvorschuss fordern, ohne dem Unternehmer eine Nachbesserung zu ermöglichen?
Nein, der Besteller muss dem Unternehmer zunächst eine angemessene Frist zur Nachbesserung setzen (§ 637 Abs. 1 BGB). Erst wenn diese erfolglos verstreicht oder der Unternehmer die Nachbesserung verweigert, kann der Besteller die Mängelbeseitigung selbst vornehmen und einen Kostenvorschuss verlangen.
2. Wie wird die Höhe des Kostenvorschusses bestimmt?
Die Höhe des Kostenvorschusses richtet sich nach den voraussichtlichen Kosten der Mängelbeseitigung. Diese müssen durch ein Sachverständigengutachten oder Vergleichsangebote plausibel belegt werden. Ein zu hoch angesetzter Vorschuss kann später zur Rückzahlungspflicht führen.
3. Gibt es eine Verjährungsfrist für den Anspruch auf Kostenvorschuss oder Minderung?
Ja, beide Ansprüche unterliegen der regelmäßigen Verjährung von fünf Jahren bei Bauwerken (§ 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB). Die Frist beginnt mit der Abnahme des Werkes. Es empfiehlt sich, Mängel frühzeitig zu dokumentieren und rechtzeitig Ansprüche geltend zu machen.
4. Was passiert, wenn der Unternehmer behauptet, die Mängelbeseitigung sei unverhältnismäßig teuer?
Der Unternehmer kann sich nach § 635 Abs. 3 BGB auf Unverhältnismäßigkeit berufen und die Nachbesserung verweigern. In diesem Fall kann der Besteller jedoch in der Regel sofort die Minderung oder den Schadensersatz verlangen. Eine gerichtliche Prüfung kann notwendig sein, um festzustellen, ob die Verweigerung berechtigt ist.
Falls Sie weitere Fragen haben oder eine rechtliche Beratung benötigen, stehe ich Ihnen als Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht gerne zur Verfügung!
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