Sind die Beilackierungskosten nach einem Verkehrsunfall vom gegnerischen Haftpflichtversicherer auch bei fiktiver Abrechnung zu erstatten? Diese Frage diskutierte der Bundesgerichtshof und kam dabei zu einem klaren Urteil (BGH, Urteil vom 17. September 2019 – VI ZR 396/18).
Der vorliegende Fall geht auf einen Autounfall zurück, welcher sich bereits im Frühjahr 2017 ereignete. Bei dem Unfall wurde das im Farbton „phantomschwarz Perleffekt“ lackierte Fahrzeug des Klägers beschädigt. Er rechnete mit dem Haftpflichtversicherer des Unfallgegners auf Gutachtenbasis fiktiv ab. Der Versicherer regulierte auch, kam dabei jedoch nicht für die im Gutachten ausgewiesenen Beilackierungskosten (424,26 Euro) und UPE-Aufschläge (219,13 Euro) auf.
Der Kläger verlangte daraufhin von der Beklagten Ersatz dieses restlichen Schadens in Höhe von zusammengerechnet netto rund 643 Euro.
Das Urteil: absolute Gewissheit nicht erforderlich
Das Landgericht Aachen hatte die Klage im Berufungsverfahren abgewiesen, nachdem ihr das Amtsgericht Aachen in erster Instanz zunächst stattgegeben hatte. Das Berufungsgericht vertrat dabei die Auffassung, dass die Beilackierungskosten an sich nicht (von vornherein) zu den im Rahmen der fiktiven Schadensberechnung erstattungsfähigen Herstellungskosten gehörten. Die Beilackierung habe mit der Beseitigung des reinen Unfallschadens nichts zu tun. Sie sei nur notwendig, wenn sich nach tatsächlich durchgeführter Instandsetzung der beschädigten Teile eine Farbabweichung ergebe.
Dem folgte der Bundesgerichtshof (BGH) im Revisionsverfahren nicht. Der BGH entschied zugunsten des Klägers, dass die Argumentation des Berufungsgerichts nicht tragfähig sei. Grundsätzlich habe der Kläger einen Anspruch auf dem zur Wiederherstellung des vorherigen Zustandes erforderlichen Geldbetrags. Die Höhe des Betrags habe das Gericht nach freier Überzeugung zu ermitteln (§ 287 Abs. 1 ZPO). Es käme darauf an, ob die Notwendigkeit einer Beilackierung überwiegend wahrscheinlich ist. Absolute Gewissheit sei hierbei nicht erforderlich.
Im Übrigen träfe laut BGH nicht zu, dass eine Beilackierung mit der Beseitigung des Unfallschadens nichts zu tun habe – wie das Berufungsgericht argumentierte. „Ist eine Beilackierung zur Wiederherstellung des Zustandes erforderlich, der vor dem schädigenden Ereignis bestanden hat, ist sie ebenso Teil der Beseitigung des durch den Unfall verursachten Schadens, wie etwa der Ersatz eines beschädigten Fahrzeugteils.“
Schlussendlich habe das Berufungsgericht zudem ein erhebliches Beweisangebot des Klägers übergangen (Verletzung rechtlichen Gehörs, Art. 103 GG). Dieser habe glaubhaft vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass sein Fahrzeug einen Farbton aufweise, der die Beilackierung der angrenzenden Karosserieteile technisch zwingend erforderlich macht. Diese Darlegung sei entgegen der Annahme des Landgerichts ausreichend gewesen. „Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt eine Partei ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen, kann der Vortrag weiterer Einzelheiten nicht verlangt werden. Vielmehr muss der Tatrichter in die Beweisaufnahme eintreten, um dort eventuell weitere Einzelheiten zu ermitteln (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurteil vom 24. Juni 2014 – VI ZR 560/13, WM 2014, 1470 Rn. 45 mwN).“
Die Revision führte zur Aufhebung des Berufungsurteils durch den BGH und zur Zurückverweisung an das Landgericht.
Das Urteil in der Praxis
Bis dato haben Haftpflichtversicherer bei einer fiktiven Schadensabrechnung die Erstattung von Beilackierungskosten standardmäßig mit der Begründung abgelehnt, dass die Notwendigkeit einer Beilackierung erst nach durchgeführter Instandsetzung feststellbar sei.
Mit dem Urteil stellt der BGH nun jedoch klar, dass Beilackierungskosten bei einer fiktiven Schadensabrechnung nach den gleichen Grundsätzen zu erstatten sind wie die sonstigen im Gutachten prognostizierten Schadenspositionen. Schließlich komme es nicht auf die Durchführung der tatsächlichen Reparatur an, sondern nur darauf, was die fachgerechte Reparatur kosten würde.
Wie der vorliegende Fall zeigt, sollten Kürzungen der Haftpflichtversicherer keinesfalls stillschweigend hingenommen werden. Wenden Sie sich im Schadensfall direkt an einen Anwalt für Verkehrsrecht unserer Kanzlei. Wir helfen Ihnen dabei, Ihre Ansprüche wirksam gegenüber dem Versicherer durchzusetzen.
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